KEB

Donnerstag, 12. November 2020

Gibt es beim Synodalen Weg „Nestbeschmutzer“?

Es gibt Begriffe, die man zwar kennt, die aber im eigenen Sprachgebrauch keine Rolle spielen. Für mich ist „Nestbeschmutzer“ ein solcher Begriff, der auch als „das eigene Nest beschmutzen“ Verwendung findet. Dieser Formulierung bin ich jüngst begegnet.

Am 24. September wurde ich auf katholisch.de fündig, wo über eine Äußerung des Görlitzer Bischofs Wolfgang Ipolt berichtet wird: Er beklagt das Diskussionsklima beim Synodalen Weg und verweist auf Menschen, die selbst Angestellte der Kirche seien und mit ihrer Kritik „das eigene Nest beschmutzen". Sie müsse man daran erinnern, dass es das Geld der Gläubigen sei, mit dem die Kirche sie bezahle. Er verweist auf die „einfachen Gläubigen“, die durch die Fragen und Debatten des Synodalen Wegs verunsichert würden. Deren Glauben gelte es zu stärken. In dem an anderer Stelle veröffentlichten Interview, das der Meldung auf katholisch.de zugrunde liegt, fährt er fort: „Wir kennen das Schriftwort von denen, die die Kleinen, die an Christus glauben, zum Bösen verführen. Für ihn wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt würde.“

Damit ist Matthäus 18,6 nur unvollständig zitiert. Der Vers hat noch einen zweiten Teil, der der Vollständigkeit halber genannt sein soll: „… und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde.“

Das überlebt man nicht.

Schauplatzwechsel: Am Abend des 23. September referierte Prof. Julia Knop in Speyer über den Synodalen Weg. Sie berichtete hierbei auch von Wortmeldungen in der Synodalversammlung, in denen Angst zum Ausdruck gebracht wurde. Angst, in der Kirche frei zu sprechen. Und sie berichtete von einem Antrag zur Geschäftsordnung, demzufolge Vorlagen aus den Synodalforen an die Synodalversammlung einmütige Zustimmung brauchen sollen. Diese sei nicht gegeben, wenn vier Forenmitglieder dagegen seien oder ein Widerspruch zwischen der Textvorlage und der Lehre der Kirche vorliege. Dieser Antrag, Minderheiten ein Vetorecht zuzubilligen und letztlich nur Debatten zuzulassen, die streng der Lehre der Kirche entsprechen, wurde mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.

Ein Bischof erinnert Kritiker an den Vers mit dem Mühlstein und Mitglieder des Synodalen Wegs äußern Angst, in der Kirche frei zu sprechen. Es gibt einen Antrag, nur unkritische Debatten zuzulassen. Gibt es da Zusammenhänge?

Als Bischof gehört man zum Führungspersonal der Kirche. Damit ist der Anspruch auf Deutungshoheiten verbunden. Deutungshoheit darüber, was als richtig und falsch erachtet wird. Deutungshoheit darüber, welche Fragen und Debatten als relevant und rechtmäßig erachtet werden. Deutungshoheit darüber, wer welche Kritik äußern darf oder besser zu unterlassen hat.

Man kann derzeit eine Reihe von Personen im politischen Raum besichtigen, die diese Deutungshoheiten überstrapazieren und recht autoritär Kritik und Widerspruch unterdrücken. Wahlweise, indem die Unabhängigkeit der Justiz aufgehoben wird (in Polen) und Kritiker von einer solchen Justiz schnell weggesperrt werden (in der Türkei). Wahlweise, indem Presse und Medien gleichgeschaltet werden (in der Türkei und Ungarn). Wahlweise, indem man Kritiker massakriert (durch Saudi-Arabien und Saudi-Arabien) oder vergiftet (durch Russland). Wahlweise, indem Demonstranten als Terroristen gebrandmarkt werden (in Belarus). Wahlweise, indem chronisch gelogen, gehetzt und diffamiert wird (in den USA und Russland). Überall geht es darum, die Linie des Führungspersonals gegen kritische Stimmen durchzusetzen.

Ja, das ist alles nicht schön und natürlich ist die Frage erlaubt, ob diese Aufzählung bei der vorliegenden Thematik nicht unangemessen sei. Nein, ist sie nicht. Im Kontext „Synodaler Weg“ Kritikern Matthäus 18,6 entgegenzuhalten ist unangemessen. „Verführung zum Bösen“ ist ein völlig abwegiger Gedankengang in diesem Kontext. Und mit dem tödlichen Hinweis auf den Mühlstein begibt man sich selbst in eine autoritäre Gesellschaft, von der ich mir wünsche, dass man sie in der Kirche besser meiden würde.

Neben dem politisch-autoritären Aspekt ist auch ein religiöser Aspekt zu beachten: Weltweit gibt es Gläubige unterschiedlicher Religionen, die in übertriebener Weise von der ausschließlichen Richtigkeit der eigenen Glaubensausübung überzeugt sind. So übertrieben von der eigenen Glaubensausübung überzeugt sind, dass sie Andersdenkende schwer ertragen können. So schwer ertragen können, dass sie ihnen zwar keinen Mühlstein um den Hals hängen, jedoch ein Messer zücken, eine Bombe zünden oder sie auf anderem Weg beseitigen wollen. Diese Vorkommnisse sind bekannt. Islamisten sind in dieser Hinsicht aktuell sicherlich das größte Problem. Sie sind aber nicht allein. Es gibt sie auch bei Hindus. Bei Juden. Und dass sich Katholiken und Protestanten gegenseitig getötet haben, ist in Irland nur wenige Jahrzehnte her. Weitere Beispiele ließen sich finden. Das weiß man. Und weil man das weiß, sollte man vorsichtig sein, welche Worte man wählt.

Nein, um zur Ausgangsfrage zurückzukommen, es gibt beim Synodalen Weg keine Nestbeschmutzer. Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben in einer Demokratie verbracht haben und gewohnt sind, sich für ihre Meinung einzusetzen. Es gibt Menschen, die sich erlauben Fragen zu stellen. Es gibt eine sehr große Mehrheit, der klar ist, dass nicht die MHG-Studie das Problem ist, sondern die in der MHG-Studie beschriebenen Ereignisse und die Strukturen, die diese Ereignisse ermöglicht haben, ein großes Problem sind. Es gibt Menschen, die als einfache Gläubige und Kirchensteuerzahler von ihren Hirten nicht wie Schafe behandelt werden wollen. Es gibt Menschen, die verstanden haben, dass Glaubwürdigkeit nicht durch eisernes Aufrechterhalten der Fassade zurückgewonnen wird. Es gibt Menschen, die imstande sind über den Status quo hinauszudenken und dies nicht als Bedrohung der Kirche oder ihres Glaubens erleben. Es gibt Menschen, die sich mit ihren Ideen für die Zukunftsfähigkeit der Kirche einsetzen. Es gibt Menschen, die das Rückgrat haben, Kritik offen zu formulieren – auch gegenüber ihrem Führungspersonal. Diese Menschen gibt es alle beim Synodalen Weg.  

Sie verführen nicht zum Bösen. Sie sind keine Nestbeschmutzer. Mir wird dieser Begriff fremd bleiben.

Kommentare und Rückmeldungen gerne an ingo.faus@bistum-speyer.de.

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