Sonntag, 07. September 2025
Propaganda für den Pfälzer Wein

Das Weintor bei Schweigen-Rechtenbach, am südlichen Beginn der Weinstraße, wurde in der NS-Zeit errichtet. Bild: Oskar/AdobeStock.com
Vor 90 Jahren wurde die Deutsche Weinstraße von den Nationalsozialisten offiziell eröffnet, um den Weinabsatz in der Pfalz anzukurbeln. Die neue Handy-App "Alternative Weinstraße" informiert über die Entstehungsgeschichte während der NS-Diktatur.
Bei einem Festakt in Bad Dürkheim gab NS-Gauleiter Josef Bürckel den Startschuss für ein Propagandaprojekt, das den unter Absatzproblemen leidenden Weinbau in der Region ankurbeln sollte: In seiner Rede zur Eröffnung der Deutschen Weinstraße am 19. Oktober 1935 - vor 90 Jahren - lobte der glühende Hitler-Anhänger den Pfälzer Wein und die Pfälzer als vorbildliche nationalsozialistische Volksgemeinschaft: „Der Wein ist wahr, das Gelöbnis echt. Hier stehen Deutsche und nichts als Deutsche - im Westen die Feldwache der Nation.“
Danach fuhr der Nazi-Mann im offenen Cabrio gemeinsam mit der pfälzischen Weinkönigin lächelnd los. Ein Bild von der Eröffnungstour nach Schweigen an der französischen Grenze findet sich mit einem erläuternden Text in einer neuen Handy-App. Der Kriegsverbrecher Bürckel war 1940 gemeinsam mit dem badischen Gauleiter Robert Wagner für die Deportation von mehr als 6.500 Juden aus der Pfalz, Baden und dem heutigen Saarland in das südfranzösische Konzentrationslager Gurs verantwortlich.
Unter dem Titel „Alternative Weinstraße“ will die Handy-App mit Texten, Fotos und Videos über die Entstehungsgeschichte der pfälzischen Touristikroute informieren - bis heute ist sie ein Aushängeschild für die Weinwirtschaft und die viel gelobte Genusskultur in der Pfalz. Die rund 80 Kilometer lange Route führt vom Deutschen Weintor bei Schweigen-Rechtenbach bis nach Bockenheim an der Grenze zu Rheinhessen. Die App ist im Apple-Store und bei Google Play kostenlos zum Herunterladen verfügbar. Zudem gibt es Accounts auf Instagram und TikTok.
„Lange Zeit ist die dunkle Geschichte der Deutschen Weinstraße unter den Teppich gekehrt worden, und noch heute wird sie häufig verdrängt“, sagt Eberhard Dittus. Der Gedenkstättenbeauftragte der Evangelischen Kirche der Pfalz hat die Handy-App gemeinsam mit Gregor Rehm, dem landeskirchlichen Friedensbeauftragten, erarbeitet. Das Medienreferat der Landeskirche unterstützte deren Entwicklung.
Auf einer virtuellen Streckenführung sind Orte entlang der Deutschen Weinstraße verlinkt, die exemplarisch vorgestellt werden. Aufgeführt ist etwa die protestantische Kirche in Herxheim am Berg mit ihrer umstrittenen „Hitlerglocke“. Die Glocke aus dem Jahr 1934 mit Hakenkreuz bleibt dort als Mahnmal gegen Gewalt und Unrecht im Kirchturm weiter hängen.
In Neustadt an der Weinstraße gibt es Informationen zur ehemaligen Gestapo-Zentrale und die Gedenkstätte für NS-Opfer. Entlang der Route ist auch ein virtueller Stopp auf dem jüdischen Friedhof Wachenheim und in der ehemaligen Synagoge in Deidesheim möglich. In Klingenmünster ist die Gedenkstätte der Pfalzklinik für psychisch kranke Menschen aufgeführt, die von den Nationalsozialisten gequält und ermordet wurden.
Über das Projekt Deutsche Weinstraße hätten die Nationalsozialisten versucht, etwa mit Weinpatenschaften zwischen Städten und „Kraft-durch-Freude“-Reisen zu Weinfesten den Absatz von Pfälzer Weins anzukurbeln, erzählt Dittus. Der ehemalige Religionspädagoge ist auch Wein- und Kulturbotschafter der Pfalz. Die Jahresweine wurden im Sinne der NS-Machthaber „getauft“, erfährt man in der App: „Gleichschalter“ hieß der Wein 1933, „Rassereiner“ (1935) und „Bomber“ (1937) folgende Jahrgänge. Auch wurden jüdische Winzer und Weinhändler enteignet und vertrieben. NS-Gauleiter Bürckel habe eine „reinrassige arische Pfalz“ frei von Juden gewollt, sagt Dittus.
Die App wolle mit ihrem Informationsangebot die Nutzerinnen und Nutzer dafür sensibilisieren, dass die Demokratie auch heute durch den Rechtsextremismus bedroht sei, machen Dittus und Rehm deutlich. Bereits 1995 hatte Dittus als Mitarbeiter des damaligen „Friedensdienstes“ der Pfälzer Kirche mit dem Projekt „Alternative Weinstraße“ Führungen vor allem für Jugendliche, Zivildienstleistende und Schulklassen angeboten.
„Wir begrüßen die Initiative und das Projekt von Herrn Dittus sehr“, sagt Tobias Kauf, Geschäftsführer des Vereins Pfalztouristik, dem Gemeinden, Städte und Landkreise angehören. Der offene Umgang mit der belasteten Geschichte der Deutschen Weinstraße könne eine Chance für den Tourismus und auch die regionale Erinnerungskultur sein. Zum 90-jährigen Bestehen der Deutschen Weinstraße und dem 100. Jubiläum in zehn Jahren seien auch aufgrund der NS-Geschichte keine besonderen Veranstaltungen geplant, sagt Kauf.
(Alexander Lang/epd)
Info: Am 19. Oktober hält Eberhard Dittus in der Martin-Luther-Kirche in Neustadt an der Weinstraße um 18 Uhr einen Vortrag über die Entstehungsgeschichte der Weinstraße.
Internet: www.frieden-umwelt-pfalz.de







































